Ukraine-Krieg prägte österreichisch-bayerischen Wirtschaftsgipfel - WKÖ, vbw und WIFO luden angesichts einer neuen geopolitischen Ordnung zu Dialogforum

Wien (ots) -

Bei einer hochkarätig besetzten österreichisch-bayerischen Konferenz am 09. Mai 2022 initiierten die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), die vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. sowie das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) einen Nachbarschaftsdialog über wirtschaftspolitische Konsequenzen der neuen geopolitischen Ordnung in Europa.

"Als Volkswirtschaften mitten in Europa sind Bayern und Österreich gleichermaßen vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dessen unmittelbaren Auswirkungen betroffen. Umso wichtiger ist es, dass wir heute im nachbarschaftlichen Dialog gemeinsam Lösungen aufzeigen für die Herausforderungen, vor die uns dieser Krieg stellt: Energieversorgung, Adaptierung der Energiesysteme, Produktions- und Lieferkettenprobleme sind ebenso Top-Themen wie die Dämpfung der enorm belastenden Teuerungseffekte. Die Politik muss jetzt ins Tun kommen, um effektive Entlastungsmaßnahmen rasch zu definieren und umzusetzen. Deutschland setzt dabei auf einen Krisenstab mit sozialpartnerschaftlicher Beteiligung, hier kann Österreich sich ein Beispiel nehmen. Denn dort wie da geht es um effektive und rasche Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger - und um die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Standortes", sagte WKÖ-Präsident Harald Mahrer bei der Eröffnung der Konferenz in der Wirtschaftskammer in Wien.

"Bayern und Österreich verbindet nicht nur eine gemeinsame Lebensart, sondern wir pflegen auch seit langem enge und tiefe Wirtschaftsbeziehungen. Mit einem Handelsvolumen von 33 Milliarden Euro ist Österreich nach China Bayerns zweitwichtigster Handelspartner. Die Wertschöpfungsketten bayerischer und österreichischer Unternehmen sind, z. B. in der Automobilindustrie, engstens verzahnt. Ebenso sind Arbeitsmärkte und Infrastrukturen auf das Engste verbunden. Wir haben optimale Bedingungen, um die bayerisch-österreichischen Beziehungen weiter zu intensivieren: Rund ein Viertel der bayerischen Landesgrenze grenzt an Österreich und die grenzüberschreitenden Infrastrukturen sind gut ausgebaut. Uns verbinden aber nicht nur Geografie und Infrastruktur, sondern auch die gleichen Überzeugungen und Werte. Mit Blick auf die nie dagewesenen Herausforderungen gilt es, unsere Interessen gemeinsam im internationalen Umfeld und innerhalb der EU zu behaupten", erklärte vbw Präsident Wolfram Hatz.

"Als Nachbarn bilden Bayern und Österreich nicht nur besonders verflochtene Wirtschaftsräume, sie stehen auch vor gemeinsamen Herausforderungen", so WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr. "Gerade angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist es besonders wichtig, abgestimmte Antworten auf die sich anbahnende Deglobalisierung und die erforderliche Dekarbonisierung der Energiesysteme zu finden." Dazu ist laut Felbermayr ein Ausbau der bilateralen Infrastrukturen notwendig, ein Abbau von Handelsbarrieren im europäischen Binnenmarkt sowie ein gemeinsames Eintreten für Freihandel zwischen verbündeten Ländern. "Nur gemeinsam können wir die ökonomischen Verwerfungen eindämmen, die durch das nachhaltige Auseinanderbrechen von West und Ost entstehen."

Unter der Leitung von ORF-Journalistin Rosa Lyon sowie dem Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung Marc Beise wurde bei der österreichisch-bayerischen Konferenz zudem über Schulden, Arbeit und Industrie diskutiert.

Der Präsident des Institutes der deutschen Wirtschaft (IW) Michael Hüther beleuchtete mit WIFO-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller die Schuldenpolitik in Deutschland, Österreich und der EU.

"Die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende macht auch vor der Finanzpolitik nicht halt", so Hüther. Einerseits müssten die infrastrukturellen Bedingungen des Strukturwandels zur Klimaneutralität geschaffen werden, andererseits seien dessen Folgen für die privaten Haushalte (Entlastung von kalter Progression) und für die Unternehmen (Anpassungspfade durch Klimaschutzverträge) zu finanzieren. "Dazu kommen nun die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, einmal kurzfristig für die Unterstützung und die wirtschaftliche Abfederung, sodann mittel- bis langfristig für höhere Verteidigungsausgaben. Da höhere Steuern angesichts der hohen Unsicherheit nicht opportun sind, muss die verantwortliche Nutzung der Kapitalmärkte neu justiert werden. Die Schuldenbremse steht deshalb unter Revisionsdruck."

Auch in Österreich steht die Finanzpolitik laut Schratzenstaller angesichts von COVID-19- und Ukraine-Krise sowie der damit verbundenen hohen Inflation vor großen Herausforderungen. "Zudem erfordern Demografie, Digitalisierung und Klimakrise Investitionen etwa in eine klimaneutrale Infrastruktur, Kinderbetreuung und Bildung, digitale Infrastruktur oder eine Pflegereform. Abgaben- und Schuldenquote sind in Österreich bereits relativ hoch, langfristige Budgetspielräume sollten daher auch durch Effizienzreformen im öffentlichen Sektor geschaffen werden", so Schratzenstaller. "Die multiplen Krisen der Gegenwart werden auch Auswirkungen auf die Zukunft der EU-Fiskalregeln haben, die gerade auf dem Prüfstand stehen."

Der österreichische Arbeitsminister Martin Kocher und der Vorstandsvorsitzende der deutschen Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele unterhielten sich über Reformbestrebungen auf den deutschen und österreichischen Arbeitsmärkten.

Die Pandemie hat laut Kocher Europas strukturelle Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt noch sichtbarer gemacht. In Deutschland, Österreich und weiten Teilen Westeuropas seien hier neben regionalen und qualifikatorischen Mismatch-Phänomenen vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit und die demografische Entwicklung zu nennen. "Reformen auf dem Arbeitsmarkt müssen vor allem bei der Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitssuchenden ansetzen und dazu führen, dass das bestehende Arbeitskräftepotenzial besser genutzt wird, während es gleichzeitig eine Strategie für eine geordnete Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten - insbesondere in Mangelberufen - braucht", so Kocher.

Die Demografie und der daraus resultierende Fachkräftemangel wird laut Scheele das bestimmende Arbeitsmarktthema der kommenden Jahre - nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern sein. "Zur Fachkräftesicherung gibt es nicht den einen Königsweg. Wichtig ist eine kluge Kombination verschiedener Strategien. In Deutschland setzen wir erstens darauf, unser inländisches Potenzial an Arbeitskräften bestmöglich auszuschöpfen. Das beginnt schon beim erfolgreichen Übergang von der Schule in den Beruf. Wir setzen außerdem auf die Qualifizierung von Ungelernten und von Menschen, deren Jobs sich infolge der Transformation verändern oder wegfallen, auch die Ausweitung von Arbeitszeiten für Teilzeitbeschäftigte ist eine Stellschraube. Ein weiterer, wesentlicher Hebel ist die gezielte Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. In Deutschland ist dazu 2020 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten, mit dem die Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten neu geregelt worden ist", so Scheele.

Österreichs Finanzminister Magnus Brunner und Veronika Grimm vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands diskutierten über "grüne" Industriepolitik in Zeiten geostrategischer Spannungen.

Putins Angriff auf die Ukraine hat laut Brunner auch erhebliche Auswirkungen auf die Energietransformation. "Wir müssen noch schneller im Ausbau der erneuerbaren Energie werden und damit die Unabhängigkeit im Energiebereich sicherstellen. Deshalb setzen wir auf Maßnahmen - etwa im Bereich der Gasbevorratung, die unsere Resilienz erhöhen. Zusätzlich haben wir als Bundesregierung mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen, um Energieunabhängigkeit zu erreichen. Darüber hinaus setzen wir als Bundesregierung mit der Ökosozialen Steuerreform die größte Transformation des Steuersystems um, die es jemals gab. Ziel ist es, arbeitende Menschen zu entlasten, Anreize für umweltfreundliches Verhalten zu setzen und den Standort Österreich nachhaltig zu stärken. In Summe wird die Entlastung der Österreicherinnen und Österreicher und der heimischen Wirtschaft bis 2025 rund 18 Milliarden Euro betragen. Wir sehen keinen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie, sondern eine gegenseitige Ergänzung, und setzen bewusst auch auf Maßnahmen, wie die Senkung der Körperschaftsteuer, um die Wirtschaft anzukurbeln und uns im europäischen Wettbewerb abzuheben. Während andere Länder Steuern erhöhen, senken wir die Abgaben am Standort Österreich. Ökologische Maßnahmen, wie ein 'ökologischer Investitionsfreibetrag' sind ebenfalls Teil der Ökosozialen Steuerreform und setzen Anreize für nachhaltige Investitionen", so Brunner.

"Die Energiepreise werden mittelfristig hoch bleiben, wenn wir uns unabhängig von russischen Energieträgern machen wollen. Je schneller wir die Erneuerbaren Energien ausbauen, desto eher sinken die Preise wieder und steigt die Energiesicherheit", so Grimm. Die kommenden Jahre werden aber herausfordernd. "Verschiedene Transformationspfade in der Industrie, die Gas als Übergangstechnologie eingeplant hatten, werden so nicht umsetzbar sein." Hier brauche es schnell neue Lösungen. "Es wird darauf ankommen, den Strukturwandel zuzulassen, attraktive Rahmenbedingungen für zukunftsorientierte Geschäftsmodelle zu schaffen und die Resilienz der europäischen Wirtschaft zu stärken. In der neuen, stärker machtorientieren Wirtschaftsordnung muss Europa sich neu aufstellen."

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Lena Grümann, Tel. 089-551 78-391, E-Mail: lena.gruemann@ibw-bayern.de


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