Gesundheitskioske

Nicht nur eine Struktur über eine bestehende stülpen

Berlin (ots) -

27. Plattform Gesundheit des IKK e.V. / Gesundheitskioske müssen an den regionalen Gegebenheiten angepasst und in ein breites Netzwerk eingebunden sein / Knackpunkte sind der Bedarf, die Ressourcenschonung und die Finanzierung

Auf bestehende Beratungsangebote lediglich einen Gesundheitskiosk als ein neues Angebot aufzusetzen, um in sozial benachteiligten oder ländlichen Räumen Prävention, Beratung und Gesundheitsversorgung zu schaffen, das kann nicht funktionieren. Stattdessen muss je nach Bedarf, regionaler Verortung und vorhandener Ressourcen ein sehr spezifisches Gesundheitsangebot erstellt werden. Das Hamburger Modellprojekt Billstedt/ Horn eignet sich nicht als Blaupause für ganz Deutschland. Dies ist das Fazit der gestrigen 27. Plattform Gesundheit des IKK e.V. Unter dem Titel "Gesundheitskioske als innovative Schnittstelle - Wunsch oder Wirklichkeit?" diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswirtschaft sowie rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort und digital zugeschaltet.

Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., erklärt in seinen einführenden Worten, dass Deutschland durchaus ein Problem mit der gesundheitlichen Versorgung in ländlichen oder sozial benachteiligten, städtischen Regionen habe. Insofern begrüßten die Innungskrankenkassen Vorschläge, die zu einer zielgerichteten Versorgungsverbesserung in belasteten Regionen führen würden. Die im Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums für die Gesundheitskioske genannten Aufgaben seien aber nur teilweise Aufgabe der GKV. Es könne deshalb nicht sein, dass die GKV pauschal 74,5 Prozent der Kosten übernehmen soll, bilanziert der IKK e.V.-Vorstandsvorsitzende. "Bei der aktuellen Finanzsituation der Krankenkassen ist das ein schweres Pfund!" Müller verweist darauf, dass die Gesundheitskioske doch viel mehr der Sozialraumpflege und der Daseinsvorsorge dienten, und damit Aufgabe des Öffentlichen Gesundheitsdienstes seien und deshalb entsprechend von den Ländern und Kommunen finanziert werden müssten. Ebenfalls kritisch sieht Müller die fortschreitende Zerklüftung von Verantwortlichkeiten sowie eine mögliche Ausdünnung der schon jetzt wenig belastbaren Personaldecke.

Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit Sabine Dittmar, MdB, SPD, betont in ihrer Grußbotschaft, dass mit den Gesundheitskiosken auf keinen Fall eine Doppelstruktur etabliert werde. "Niemand muss Sorge vor dem Aufbau einer Parallelstruktur im Gesundheitswesen haben!", verspricht sie. Die Gesundheitskioske sollen beraten und den Zugang zu bestehender kurativer Gesundheitsversorgung organisieren. "Sie sollen die bestehenden Strukturen vor Ort entlasten, aber die Arbeit der Primärversorgung nicht ersetzen." Einer Finanzentlastung der Kassen erteilt Dittmar in ihrem Videostatement eine Absage. Bei der Kostenaufteilung hätte sich die Regierung davon leiten lassen, dass die Krankenversicherungen als Solidargemeinschaft die Aufgabe habe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern. Dies bedeute auch die Förderung der Gesundheitskompetenz und der Eigenverantwortung der Versicherten. Insofern hätten die Krankenkassen auch bei der Aufklärung und Beratung zu helfen.

Prof. Dr. habil. Heike Köckler, Professorin für Sozialraum und Gesundheit am Bochumer DoCH Department of Community Health der Hochschule für Gesundheit, betont die Bedeutung der sozialen und kommunalen Strukturen sowie Netzwerke vor Ort für den Erfolg eines Gesundheitskiosks. "Gesundheitskioske können nicht wie im Franchise-System aufgesetzt werden", erklärt Köckler. Es brauche insofern community-spezifische Ansätze. "Gesundheitskioske sind dem Sozialraum entsprechend zu konzipieren und einzubinden und erfordern die Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen, ebenso wie von Kommunen und Sozialraumakteuren, wie etwa Wohlfahrt, Kirche oder Sportverwaltung", sagt die Professorin. Deshalb benötige man in ländlichen Strukturen ganz anders aufgestellte Gesundheitskioske als in städtischen Brennpunkten.

Das Konzept der Gesundheitskioske der Bundesregierung sei konzeptionell noch nicht ausgegoren, konstatiert Anselm Lotz, Verwaltungsratsvorsitzender der IKK Brandenburg und Berlin. Er fordert ein an den Bedarfen ausgerichtetes Gesamtkonzept. "Gesundheit darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern benötigt einen interdisziplinären Zugang." Sozial- und Kommunikationsräume zu schaffen, ist für den Verwaltungsratsvorsitzenden ein Schlüsselfaktor für die Verbesserung der Gesundheitskompetenz in sozial benachteiligten Regionen. Für die Einrichtung von Gesundheitskioske im engeren Sinn stellt er die Bedarfsfrage: "Wir sollten die Versicherten fragen, ob sie die Idee des Gesundheitskiosks gut finden, wenn sie das Projekt schließlich auch bezahlen sollen."

Prof. Dr. Lutz Hager, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care, unterstützt die Idee der Gesundheitskioske grundsätzlich: "Gesundheitschancen sind ungleich verteilt", weiß Hager. "Die Gesundheitskioske zielen nun genau da hin, wo Gesundheit noch nicht ankommt." Jedoch hat auch er Sorge vor dem Aufbau einer Doppelstruktur. "Ich befürchte, dass man mit dem Gesundheitskiosk ein neues Haus neben bereits bestehende Strukturen stellt", so der BMC-Chef. "Man muss das Rad tatsächlich aber nicht neu erfinden." Stattdessen benötige man einen niedrigschwelligen Zugang, der akzeptiert werde. In der Vergangenheit habe man mit den niedrigschwelligen Angeboten ganz offensichtlich die Menschen nicht erreicht. Aus seiner Sicht gibt es auch Alternativen zum Aufbau eines festen Gesundheitskiosks. Gesundheitslotsen ließen sich auch an bestehende Strukturen anbinden.

Einen Bedarf an Gesundheitskiosken stellt auch Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, fest. Doch die vom Gesundheitsminister Lauterbach postulierte Anzahl von 1.000 Kiosken spiegle gleichwohl nicht den Bedarf wider, meint Beier. "Die Zahl 1.000 manifestiert vielmehr das Bedürfnis der Politik, lösungsorientierte Angebote zu machen und die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten zu stärken." Dabei sieht er die Personalressource als Herausforderung an. "Wo soll für 1.000 Kioske das Fachpersonal herkommen, ohne dass man sich nicht wechselseitig kannibalisiert?", fragt sich der Bundesvorsitzende. Ressourcenschonung müsse am Anfang der Überlegungen stehen. "Ich mache mir überhaupt keine Sorgen, dass Hausärzte überflüssig werden", stellt Beier hinsichtlich der Befürchtungen fest, die Gesundheitskioske würden mehr und mehr Aufgaben der Primärversorgung übernehmen. Er habe eher die Sorge, dass ihm das knappe Personal weggenommen werde. "Bei knappen Ressourcen muss geschaut werden, wer welche Aufgaben übernimmt und dafür befähigt wird!" BMC-Chef Hager sieht hier zukünftig die Digitalisierung als große Chance. "Wir unterschätzen KI noch ganz viel", meint er. "Diesen Bereich müssen wir als riesengroße Chance und Entlastung sehen."

Bezüglich der Frage der Finanzierung waren sich die Diskutanten uneins. Hager fordert neue Vergütungswege oder Cost-Sharing-Modelle, da Gesundheit und Daseinsvorsorge zusammen gehörten. Hausärzteverbands-Chef Beier wiederum sieht in der Ausstattung Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht, bei den Leistungen müsse unterschieden und diese vom entsprechenden Kostenträger übernommen werden. Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., fragte sich in seinem Schlusswort dann, warum die gesetzliche Krankenversicherung eigentlich auch hier wieder nur die Rolle des Payers und nicht des Players zugedacht werde. Dabei wären gerade die Krankenkassen schon an so vielen Beratungsangeboten beteiligt und verfügten auch über eine breite Datenbasis, die für die Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten genutzt werden könnte. "Wir möchten mit unseren Daten zugunsten einer besseren Versorgung arbeiten, aber wir dürfen nicht", kritisiert Hohnl.

Über den IKK e.V.:

Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 gegründet mit dem Ziel, die Interessen seiner Mitglieder und deren 5,2 Millionen Versicherten gegenüber allen wesentlichen Beteiligten des Gesundheitswesens zu vertreten. Dem IKK e.V. gehören die BIG direkt gesund, die IKK Brandenburg und Berlin, die IKK classic, die IKK gesund plus, die IKK - die Innovationskasse sowie die IKK Südwest an.

- Diese Pressemitteilung finden Sie auch im Internet unter www.ikkev.de -

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