Digitalisieren - muss das sein?

Großes denken, Neues wagen

01. Oktober 2019

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Digitalisierung hat Hochkonjunktur. Doch was bedeutet sie überhaupt? Wie können kleine und mittlere Unternehmen von ihr profitieren? Wie müssen sich Firmen neu aufstellen? Und wer hilft bei der Umsetzung? Ein Kurztrip durch das Silicon Germany mit vielen praktischen Tipps.

 

Die Welt wird digital – das verändert Kommunikation, Konsum und Arbeitswelt schneller denn je und jeden Tag ein Stückchen mehr: durch neue Apps, durch neue Webdienste, durch neue Technik. Was für die einen Fluch, Jobkiller oder Tsunami ist, der via digitale Technologien über die Unternehmen kommt, ist für andere eine Riesen-Chance. Für den Unternehmer Christian Bredlow ist die Digitalisierung noch mehr - eine veränderte Geisteshaltung in Richtung Zukunftsgestaltung. Christoph Keese, Deutschlands führender Digitalisierungsexperte, redet sogar von einem Abenteuer, um sich in der digitalen Welt neu zu erfinden. 

 

Revolution, Transformation und Industrie 4.0 

Von Digitalisierung spricht man im ursprünglichen Sinn, wenn analoge Informationen in eine digitale Speicherform überführt und Aufgaben durch Computer erledigt werden. Oft steht der Begriff Digitalisierung aber auch für die digitale Revolution oder die digitale Transformation. Oder er wird mit Innovationen und Industrie 4.0 gleichgesetzt, wobei letzterer Begriff ganz klar die Digitalisierung der Produktion meint, insbesondere von Deutschlands Schlüsselindustrien, dem Maschinen- und Fahrzeugbau.

 

Wichtig auch: Digitalisierung betrifft immer das ganze Unternehmen, Innovationen dagegen nicht. Alle Abläufe und Prozesse innerhalb von Unternehmen werden nach und nach in digitale Abläufe überführt beziehungsweise komplett neu gedacht. Die größten Treiber der Digitalisierung sind:

 

  • Zunehmende Rechenleistung von Computern
    Die nächste Festplatten-Revolution steht bevor. Eine neue Technik soll in wenigen Jahren Modelle mit bis zu 100 Terabyte Speicherplatz bringen.
  • Stärkere Vernetzung von Menschen und Technologien
    Beispielsweise durch 5G-Mobilfunknetze für die Industrie 4.0 oder das Autonome Fahren.
  • Die gestiegene Verfügbarkeit von Daten
    Etwa durch Cloud Computing, die unter anderem Künstliche Intelligenz und Big Data, also vorher nicht bekannte Wege zur Analyse von Daten ermöglichen.

 

Digitalisieren – muss das sein?

Wo steht Deutschland 2019 in Sachen Digitalisierung? Um es auf den Punkt zu bringen: Das Land bewegt sich digital. Im Vergleich zu Ländern wie China oder den USA, die stark auf den digitalen Wandel setzen, aber langsam. Die deutsche Wirtschaft wird, unter Berücksichtigung der 50 größten Unternehmen, nach wie vor durch die traditionelle Industrie geprägt. Man könnte auch sagen – wir verlassen uns zu sehr auf alte Stärken. Dazu zwei Zahlen, die in den Geschäftsberichten der jeweiligen Unternehmen zu finden sind:

 

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Mit fast 75 Milliarden Euro Jahresumsatz wendete die Deutsche Telekom, das größte deutsche Digitalunternehmen, 2018 knapp 60 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung auf.

 

 

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Im gleichen Zeitraum verdiente der Onlinehändler Amazon 203 Milliarden Euro und investierte mit über 24 Milliarden Euro rund 420-mal mehr Geld in Forschung und Entwicklung als die Deutsche Telekom.

 

Ein ähnliches Bild bei kleinen und mittleren Unternehmen. Aus einer Untersuchung der staatlichen Förderbank KfW geht hervor, dass 30 Prozent der 3,76 Millionen Mittelständler zwischen 2015 und 2017 Geld in den Einsatz neuer oder verbesserter digitaler Technologien gesteckt haben. Im Vergleich zur vorangegangenen Befragung (2014 bis 2016) stieg der Anteil der „Digitalisierer“ den Angaben zufolge um vier Prozentpunkte auf gut 1,1 Millionen.

 

Neuland wird betreten, Komplexität ist zu managen

Unabhängig von Branche und Betriebsgröße fällt es nicht immer leicht, im Unternehmen digitale Lösungen einzuführen. Neuland wird betreten. Irritationen müssen ausgehalten werden. Komplexität ist zu managen, wenn analog zu digital wird oder beides miteinander vernetzt werden soll. Daraus entstehen viele Detailfragen. Sie dringen bis in die Mikroprozesse des Unternehmens vor und pauschale Antworten gibt es nicht.

 

Und das ist lange noch nicht alles: Viele Deutsche haben Angst, dass die Digitalisierung mittelfristig sie und ihren Job überflüssig macht. Siemens-Personalchefin Janina Kugel betonte in der Süddeutschen Zeitung: "Weder Menschen noch Maschinen können die Zukunft voraussagen."

 

Sicher ist aber, dass es auf Dauer einen fundamentalen Wandel bei der Art der Beschäftigung geben wird. Aktuellstes Beispiel das jüngste "Arbeit-von-morgen-Gesetz" von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Es soll den Arbeitsmarkt für den Fall einer Konjunkturkrise vorbereiten und für den Strukturwandel durch die Digitalisierung fit machen.

 

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Für viele Unternehmer*innen ist es allein schon eine große Herausforderung, zu überblicken, welche der digitalen Möglichkeiten für die eigene Wettbewerbsfähigkeit relevant sind. Vor allem, wenn die Auftragsbücher gut gefüllt sind, das Tagesgeschäft sowieso kaum Zeit lässt oder Fachkräfte fehlen, die sich damit befassen können. Digitalisierung landet dann auf der Prioritätenliste weit hinten, obwohl man weiß, dass das Thema unbedingt angefasst werden muss. 

 

Digitalisierung hat viele Gesichter

Sie verlangt nach neuen Strategien – in der täglichen Zusammenarbeit, im Kundenkontakt und in der Produktentwicklung. Geht es den einen nur um neue Technologien, wie Software- und Appentwicklungen, richten andere den Fokus auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle oder die effizientere Kontrolle ihrer Geschäfts- sowie Produktionsprozesse.

 

Die folgenden Beispiele zeigen, wie Unternehmen ihre Chancen genutzt haben.

 

Der Fußscanner: Ein Schuster bleibt nicht bei seinen Leisten

 

 

Die Fredmax GmbH aus dem thüringischen Nordhausen ist ein Handwerksbetrieb, in dem seit gut einem Jahrzehnt orthopädische Einzelstücke, wie zum Beispiel Maßschuhe hergestellt werden. Der erste Schritt für einen orthopädischen Maßschuh ist immer der individuelle Fußabdruck, also das Vermessen des Fußes und der Fußstatik. Dazu sind über 30 Einzelmaße erforderlich, aus denen später eine sogenannte Schuhleiste, ein Formstück aus Holz oder Kunststoff, angefertigt wird. Um Kosten und Zeit einzusparen und um das traditionelle Schuhmacher-Handwerk mit einer Innovation zu verbinden, hat das zehn Mitarbeiter*innen starke Unternehmen die manuelle Leistenfertigung auf digital umgestellt.

 

FREDPRO 3D Scan System für berührungslose Fußvermessung

Angeschafft wurde dazu ein FREDPRO 3D Scan System. Es ermöglicht eine schnelle, berührungslose Fußvermessung. Obendrein ist es mobil einsetzbar und kann in Pflegeeinrichtungen und Unternehmen transportiert werden. Die Daten werden digitalisiert und die Schuhleisten mit der entsprechenden Software konstruiert.

 

Infolge der Umstellung wurde die Produktlinie um handgefertigte Businessschuhe erweitert und zusätzlich ein Onlineshop eingerichtet, um neue Zielgruppen, wie Sportvereine, medizinisches Personal, Industriebetriebe mit spezieller Schutzausrüstung sowie Privat- und Geschäftskunden zu erreichen.  

 

Der Online-Farbkonfigurator: Bringt mehr Kunden ins Geschäft

Ein weiteres Beispiel aus dem Handwerk, der die Digitalisierung von Geschäftsmodellen greifbar macht, ist der von der Betriebswirtin Monja Weber und dem Maler- und Lackiermeister Sebastian Alt entwickelte Online-Farbkonfigurator der Koblenzer Firma Kolorat. Auf deren Website können sich ambitionierte Heimwerker ein an ihre Bedürfnisse angepasstes Farbkonzept entwerfen lassen, dazu benötigte Materialien erwerben und Beratungsangebote für die eigenen vier Wände nutzen. 

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Monja Weber und Sebastian Alt, Gründer von Kolorat, wollen mit dem neu entwickelten Online-Farbkonfigurator mehr als nur Farbe anbieten, Tipps & Tricks für die Verarbeitung geben und inspirieren.

 

Die Bäcker 4.0: Traditionelles Handwerk trifft Moderne

Andreas und Florian Fickenscher, Geschäftsführer des Familienbetriebes Fickenschers Backhaus aus dem oberfränkischen Münchberg, sind in 11. Generation Bäcker. Das Filialunternehmen mit acht Verkaufsstellen, 85 Mitarbeitern und 15 Azubis geht mit der Zeit und bleibt dem Genusshandwerk trotzdem treu. Denn in einer Welt, in der sich alles immer schneller dreht, setzen die Fickenschers auf Langsamkeit, auf sogenanntes „Slow Baking“. Ihnen geht es um Regionalität, um den Erhalt der Artenvielfalt und um Nachhaltigkeit. Und natürlich um den Genuss von echtem, handwerklich gebackenem Brot. Dafür muss das Unternehmen gut organisiert sein.

 

Digitalisierung schenkt Zeit für Dinge, die Zeit brauchen

In den letzten Jahren wurde die gesamte Personaleinsatzplanung digitalisiert. Schichten, Urlaubsanträge, Zeiterfassung, Zuschlagberechnung – alles ist automatisiert. Selbst der Reinigungsplan ist digital abruf- und bearbeitbar. Schaut die Lebensmittelkontrolle vorbei, kann jeder Handgriff sofort nachgewiesen werden. Über eine abteilungsübergreifende Kommunikationsplattform werden Aufgaben, To-do-Listen und Arbeitsanweisungen so kommuniziert, dass selbst Mitarbeiter mit Handicap (z. B. Gehörlosigkeit) sich voll im Team integriert fühlen. Die Digitalisierung hilft sogar bei der Sauerteigherstellung. Das Beste aber ist, dass die Digitalisierung Zeit schenkt für Dinge, die Zeit brauchen.

 

 

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"Unser Betrieb hält für Digitalisierung immer die Tür offen. Dadurch können wir uns um Dinge kümmern, die uns wichtig sind: das ursprüngliche Handwerk und die richtig leckeren Rezepte“, sagt Geschäftsführer Andreas Fickenscher.

 

 

Ihr Masterplan zur Digitalisierung in zwei Schritten?

Sie wollen den digitalen Wandel anpacken? Dann geht es nur noch darum, den richtigen Anfang zu finden. Das ist leichter gesagt als getan, doch zwei wesentliche Voraussetzungen helfen: Eine positive Grundhaltung und die Kraft, den digitalen Wandel kompromisslos voranzutreiben.

 

Die Crux: Kein Unternehmen gleicht dem anderen. Selbst Betriebe, die das gleiche Geschäftsmodell haben, unterscheiden sich in Struktur, Größe oder durch ihre Firmenphilosophie. Heißt, es gibt keinen Masterplan oder ein allgemeingültiges Erfolgsrezept für das Veränderungsmanagement. Aber es gibt Grundregeln und einige methodische Ansätze, die bei der Erstellung eines Digitalisierungsfahrplans helfen können.

 

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Schritt 1: Analysieren Sie Ihr Unternehmen

Viele Unternehmen sind sich absolut im Klaren darüber, dass Sie sich dem digitalen Wandel stellen müssen. Das Problem ist nur, was Sie genau verändern wollen und wie sie dies anstellen sollen. Prüfen Sie am besten zuerst, welche der Bereiche, Strategien, Strukturen und Prozesse in Ihrem Unternehmen von der Digitalisierung profitieren können.

 

Schauen Sie zusätzlich über den Tellerrand und recherchieren Sie nach Best-Practice-Beispielen Ihrer Branche. Diese Fragen zur Digitalisierung könnten Sie sich stellen, um weiter voranzukommen:

 

  • Welche Tools, Software und Programme nutze ich, die effizient und sinnvoll sind?
  • Setze ich eine Software ein, die die interne Kommunikation und damit das Informationsmanagement fördert (z. B. Slack)?
  • Wie sind meine Mitbewerber digital aufgestellt?
  • Gibt es einen oder mehrere Mitarbeiter mit hoher Datenkompetenz? Falls nein: Sollte ich welche einstellen?
  • Ist mein Team bereit für den digitalen Wandel? Kennen Sie die Chancen und Risiken der digitalen Transformation?
  • Wird regelmäßig ein Feedback der Kunden eingeholt? Gibt es dazu überhaupt die passenden Daten, Instrumente oder Tools?

 

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Erstcheck, wie digital Ihr Unternehmen schon ist 

Der kostenlose Digitalcheck Mittelstand bietet Ihnen eine qualifizierte Ersteinschätzung zum Stand der Digitalisierung in Ihrem Unternehmen. Die Standortbestimmung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und betrachtet insgesamt sieben Bereiche der Digitalisierung. Der detaillierte Ergebnisbericht gibt Ihnen zudem konkrete Handlungsempfehlungen, die Sie dort abholen, wo Sie gerade stehen.

 

Schritt 2: Digitalisierung in fünf Etappen

Sie kennen den digitalen Reifegrad Ihres Unternehmens? Dann wird es Zeit für die nächste Stufe, die Konzeption einer Digitalstrategie. Anhand dieser Fragen können Sie Ihre individuelle Roadmap erstellen:

 

  1. Ob Bestellung oder Rechnungslegung, ob Dokumentenverwaltung oder Personalmanagement: Welche digitale Infrastruktur, die Sie ausbauen können, ist schon vorhanden? Wo müssen Sie neu ansetzen?

  2. Ob intelligente Vernetzung von Mitarbeitern, Maschinen und Daten oder neue Geschäftsmodelle: Welche Ziele möchten Sie durch die Digitalisierung Ihres Unternehmens erreichen und was müssen Sie dafür tun?

  3. Welchen technischen und personellen Bedarf benötigen Sie für Ihr Vorhaben? Wie können Sie Ihre Mitarbeiter*innen in den Prozess einbinden? Benötigen Sie externe Unterstützung oder Beratung von Profis?

  4. Digitalisierung kostet Geld: Kalkulieren Sie welche Kosten anfallen werden und wie Sie diese finanzieren wollen? Zahlreiche Fördermittel-Programme von Bund, Ländern und Förderbanken könnten auch für Ihr Vorhaben von Interesse sein? Die Industrie- und Handwerkskammern helfen weiter.

  5. Ohne Motivation und Commitment der Mitarbeiter*innen keine Digitalisierung: Das Wort „Digitalisierung“ können viele schon nicht mehr hören. Aber es sind genau diese kritischen Einwände und Widerstände, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen. Planen Sie deshalb die Umsetzung. Prüfen Sie, welche Auswirkungen die Umstellung auf den Geschäftsbetrieb und auf Auftraggeber, Kunden sowie Mitarbeiter hat.

 

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Wer hilft Ihnen bei Ihrer Roadmap weiter?

Zum Thema digitale Transformation gibt es unzählige Beratungs- und Fördermöglichkeiten, etwas beim Bundeswirtschaftsministerium, den Wirtschaftsministerien der Länder, den Industrie- und Handwerkskammern und den 26 regionalen Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren. Letztere sind verteilt auf das ganze Bundesgebiet und bieten kompetente und anbieterneutrale Hilfe durch Austausch, Praxisbeispiele, Demonstratoren sowie Informationsveranstaltungen.

 

 

Für (fast) jedes Problem eine Lösung

Nur Mut: Betrachten Sie die Digitalisierung weniger als Problem, sondern als Chance, an der Sie wachsen können. Die folgenden fünf Empfehlungen können dabei helfen:

 

  1. Das A und O ist eine ordentliche Beratung! Am besten von Profis, die schon erfolgreich Digitalisierungsprojekte umgesetzt haben und sich auch bei Förderprogrammen auskennen.

  2. Es braucht außerdem eine gute Roadmap – erfolgreiche Transformationen erfordern tiefe Eingriffe in Strukturen, Prozesse, Führungsinstrumente und IT.

  3. Nicht zu vergessen: Für die Umsetzung sollten Technik, Software, Applikationen und Maschinen „state-of-the-art“ sein.

  4. Denken Sie an eine flexible Digitalstrategie. So können Sie besser auf Ungewissheiten reagieren oder diese beeinflussen.

  5. Die digitale Transformation fordert von Mitarbeiter*innen, dass sie kontinuierlich dazulernen und sich den Umgang mit neuen Tools, Prozessen und organisatorischen Strukturen aneignen.
    Unterstützen Sie Ihr Team dabei!

 

 

Bildnachweis

Digitalcheck Mittelstand (www. gemeinsam-digital.de/digitalcheck-mittelstand)
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